Rezension/Rant: Katzen würden Mäuse kaufen von Hans-Ulrich Grimm

Seit fast einer Woche ist unser 2-Personen-Haushalt um 2 junge Katzen angewachsen. Weil das Thema Katzenfutter durchaus komplex ist, habe ich mal bei meinen Kollegen rumgefragt, was die so ihren Katzen geben. Einer war so nett und hat mir gleich am nächsten Tag einen Stapel Rezepte und HIntergrundinformationen gebracht und das Buch “Katzen würden Mäuse kaufen – Schwarzbuch Tierfutter” von Hans-Ulrich Grimm. Der Rückentext verspricht “Ein brilliant recherchiertes Buch über die Tierfutterindustrie.” Was Grimm uns sagen möchte, bleibt offen, was ich sagen möchte, folgt nach dem Klick.

So beginne ich noch am selben Tag in der Bahn die Lektüre. Anfangs mit Interesse, doch schon sehr bald mit Ärger und Abneigung. Dieses Buch ist so aufgeregt geschrieben, so skandalierend, so voller flacher Vorurteile, dass es schwer fällt, Grimm glauben zu schenken. Zu Beginn auf Seite 23 schreibt er:

“Nicht das Tier steht im Mittelpunkt, sondern die Maschine.

Das Tier soll aber fressen, und daher wird das Produkt noch passend gemacht – mit den Mitteln der Chemie.”

Dieser anklagende Tonfall, ohne konkret etwas negatives benennen zu können, oder zu erläutern, was an einem Punkt schlecht ist, zieht sich durch das ganze Buch, das mit 200 Seiten erfreulich kurz geblieben ist. Als Wissenschaftler freut man sich natürlich immer besonders über die Formulierung “mit Chemie”, als wenn es Dinge ohne Chemie gäbe. Als wenn Menschen Nahrung nicht biochemisch verwerten würden, als ob nicht jede Substanz chemische Eigenschaften hätte.

Die 200 Seiten des Buchs sind dazu gefüllt mit Wiederholungen und Verweisen auf eigene Werke oder andere Kapitel des selben Buches, aber nicht mit Verweisen auf externe Literatur. Diese findet man zwar im Anhang in alphabetischer Reihenfolge der Autorennamen, aber was bringt einem die Liste, wenn man wissen will, auf welche “Chemie” genau Grimm sich in einem Absatz bezieht.

Schön ist auch die folgende Stelle auf Seite 89:

“Kurz: Kein Schwein braucht Chemie im Futter.

Der Löwe fände es vermutlich ziemlich absurd, wenn das Leben seiner Lieblingsspeise Antilope mit Chemikalien künstlich verlängert würde. Die Gemsen grasen auch gern ohne Geschmacksverstärker auf der Matte. Der Eisbär fängt und frisst Fische, auch ohne dass diese mit Farbstoffen verhübscht worden wären.”

Vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen stellt Grimm hier ein absurdes Bild dar, dass plötzlich von Wildtieren spricht, die über ihre Nahrung nachdenken. Dabei geht es sonst im Buch um Haus- und Nutztiere. Überhaupt scheint sich Grimm nicht im Klaren darüber zu sein, was er aussagen möchte. Einerseits betont er mehrfach, dass Tiere nicht das essen, was Menschen appetitlich finden, andererseits verachtet er Knochen, Organe, Bindegewebe und generell Überbleibsel vom Schlachten als Abfall, wünscht sich gar eine Kennzeichnung, die angibt, ob Abfall in der Dose ist oder nicht. Was denn nun, Herr Grimm? Filet und Schnitzel oder doch lieber Innereien für die Tiere?

Regelmäßig vergleicht Grimm Zahlen, die nichts miteinander zu tun haben.

“Allein in Deutschland werden onvorstellbare Mengen Mischfutter an die Tiere im Stall verfüttert: 68 Millionen Tonnen sind es im Jahr – das ist mehr, als die Leute Sprit verbrauchen.” Es folgen Zahlen zum Benzin- und Dieselverbrauch.

Was soll dieser Vergleich? Die Aussage ist absurd. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Menge an verfüttertem Mischfutter und dem Spritverbrauch der Deutschen? Ebenso könnte man sagen, pro Jahr wird mehr Schokolade produziert, als die Leute Salz essen.

Absolute Zahlen ohne Kontext sind sowieso Grimms Spezialität. Er schreibt, dass 1999 25 Hunde an Gift in Nahrung gestorben sind. Wo, welchen Prozenzsatz das ausmacht, und wie viele in den Jahren davor oder danach gestorben sind, sagt er nicht. Diese einfach Methode bewirkt immer ein großes Staunen und “Aha!”, aber sagt im Endeffekt doch nichts aus. Auch schreibt Grimm über steigende Zahlen von Erkrankungen über die Jahre bei Hunden, vergleicht die Zahlen aber nicht mit der ebenso gestiegenen Zahl an Hunden in Haushalten. Als Wissenschaftler, der empfindlich auf zahlengestützte Behauptungen reagiert, klingeln mir die Alarmglocken.

Der gesamte Ton des Buchs ist so hysterisch, dass selbst wenn einmal harte Fakten aufkommen, diese unglaubwürdig erscheinen, weil sie im Kontext von unbewiesenen Behauptungen stehen. Das Gegenteil von dem, was Grimm bezwecken wollte, tritt ein. Dazu kommen ermüdende, nichts sagende Objektbeschreibungen. Grimm beschreibt einen Abdeckerbetrieb (“Röhren, Tanks, ein Schornstein, quaderförmige, beige Bauten”, Seite 42), Dorfplätze (“Drumherum einige kleine, rot verklinkerte Häuser[…]” S. 42) und belgische Futtermittelbetriebe (“Ein paar Schreibtische, Pin-up-Kalender an der Wand, graue Schränke […]” S. 120). All diese Beschreibungen tragen nichts zur Sache bei und strecken das Buch künstlich. Ohne diese häufigen Detailzeichnungen hätte das Buch locker 20 Seiten weniger (immerhin 10 %).

Einzig das Kapitel über Kriminalität und Korruption in Belgien und über Hormone und hormonähnliche Substanzen ist über Strecken interessant. Ansonsten merkt man, dass Grimm nicht nur keine Ahnung von Biochemie im weitesten Sinne hat, sondern dass er sich auch weigert, diese als was anderes als Teufelszeug wahr zu nehmen.

Besonders deutlich wird das im Kapitel zu Gentechnik, dessen Lektüre ich nur ausgehalten habe, weil ich wusste, dass ich später darüber schreiben kann. Neben der üblichen grünen Propaganda über Selbstmorde und Gentech in Indien von Greenpeace (stimmt übrigens nicht, es gibt keine Korrelation zwischen Bt-Baumwolle und den Selbstmorden, schon Jahre vor GMO-Einführung brachten sich konstant pro Jahr rund 15000 Bauern um) finden sich auch hanebüchene Beschreibungen von biotechnologischen Grundprinzipien. Grimm nennt Bakterien konsequent Bazillen und kann einen Stamm nicht losgelöst von seinem Isolationsort sehen. Für ihn sind Schimmelpilze in der Produktion das gleiche wie Hausschwamm.

“Auch ‘Rovabio PHY AP/LC’ wächst nicht auf Bäumen, es wird produziert von einem Kleinstlebewesen. Es heißt ‚Penicillium funiculosum’. Das klingt nach Penecillin, ist aber gemeinhin eher ein Fall für den Mieterbund: Es ist der Pilz, der für schimmlige Wände in den Wohnungen sorgt.

Das sind so die Lebewesen, die die High-Tech-Leckereien für Mensch und Tier produzieren. Bakterien und Pilze. Sie sind die Hauptfiguren der sogenannten Biotechnologie. Weil sie so winzig sind, weden sie in der Öffentlichkeit nicht so recht wahrgenommen. […]

Manche wurde jahrelang für ihre Aufgaben dressiert, damit sie schnell und in angemessener Menge produzieren. So eine Bazille, so ein Pilz wurde ja auch nicht für den Fabrikeinsatz geboren.” (S. 176)

Ich habe selten eine so haarsträubende wie arrogante Betrachtung der modernen Molekulargenetik gelesen. Grimm hat nicht verstanden und will nicht verstehen. Im liegt nichts an einer konstruktiven Auseinandersetzung mit dem Thema. Er will Panik verbreiten, auf die Großen einkloppen, aufzeigen, wie blödsinnig doch all die Techniker und Wissenschaftler und Hersteller sind. Und das alles, ohne Alternativen aufzuzeigen. Wahre Gefahren und Risiken anzusprechen. Alles was einen komplizierten Namen hat, setzt Grimm in Anführungszeichen, als wäre es ein Wort, dass nur Spinner benutzen. Er zählt verschiedene chemische Bestandteile auf, nennt die komplizierten Namen, witzelt darüber, aber gibt keine brauchbare Information über deren Risiken, sofern welche bestehen. Zitronensäure klingt bei ihm so gefährlich wie Dioxin. Regelmäßig erwähnt er, welche Gefahren in hohen Dosen bestimmter Stoffe stecken, ohne zu erläutern, ob diese Dosen mit handelsüblichen Fertigfutter je erreicht werden können.

Grimm zitiert sehr gern und häufig einfach nur aus Broschüren, Werbetexten und Gesprächen mit Industrievertretern. Seitenweise reiht er Produktbeschreibungen aneinander, ohne zu erläutern, ob diese Beschreibungen gerechtfertigt sind oder nicht. Man sieht geradezu hyperventilierend vor sich, wie er zeigen will wie böse doch alles ist aber irgendwie gelingt es ihm doch nicht.

Zum Schluss malt Grimm noch das idyllische Bild, wie Kühe einen Berg hinaufgetrieben werden, während die Frauen den Tisch decken und alle sich auf den Käse freuen. Der Zusammenhang zur Frage Tierfutter bleibt marginal. Ein paar Worte noch zum BARFen, ohne jedoch ernsthaft auf Risiken oder Vorteile einzugehen. Das wars dann auch schon. Das Buch hat mich nur drei Tage gekostet, weil es so dünn und so oberflächlich ist. Empfehlen würde ich es niemandem. Wer an einer objektiven und konstruktiven Auseinandersetzung mit dem Thema Tiernahrung interessiert ist, sollte nicht zu einem von Grimms Büchern greifen. Man könnte fast meinen, es seien Märchen.

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